Oksana Kyzymchuk

Vor einigen Tagen eröffnete Oksana Kyzymchuk ihre aktuelle Kunstausstellung „On My Way“ in den Räumen des Kunstinkubators am Königstor. Ich habe mit der Künstlerin über ihre Inspiration, ihren Weg und ihre Leidenschaft gesprochen.

Hallo Oksana, danke für deine Zeit! Deine neue Ausstellung „On My Way“ wurde vergangene Woche eröffnet. Wie ist sie entstanden?

Ich lebe seit 2016 in Kassel. In den vergangenen zwei Jahren war ich oft im Ausland. Die Ausstellung umfasst die Werke meiner Schaffenszeit in Kassel sowie in Landshut. Einige sind in Österreich entstanden, andere in Frankreich und Italien. Die Ausstellung ist eine Zusammenstellung.

Beschreibt der Titel „On My Way“ den Weg, der hinter dir liegt oder ist es der Weg, auf den du dich besinnst?

Es ist beides. Es ist der Weg, auf dem ich mich befinde. Aber es beschreibt auch den Weg, auf den ich mich besinne.

Was hebt die Ausstellung hervor? Was soll deine Gemälde, deine Skulpturen und Installationen den Betrachterinnen und Betrachtern vermitteln?

Es ist das Ergebnis einer Phase von sieben Jahren. Ich glaube, wenn man sich in meine Werke vertieft, kann man auch ganz deutlich die Höhen und Tiefen erkennen – zum Beispiel Freude oder tiefste Trauer.

Es sind sehr emotionale Werke.

Ganz genau, man kann viele Emotionen entdecken. Meine Kunst verändert sich ständig. Wenn man sich die Werke, die in der Bretagne entstanden sind, ansieht, findet man immer ähnliche Strukturen vor, sie wirken wie fließendes Wasser. Es sind harmonische Strukturen. Aber diese Schaffensphase kommt niemals zurück. Es entsteht immer etwas neues. Ich gehe zum Beispiel anders mit Farben um, es ergeben sich anders gestaltete Linien. Das besondere an meiner Kunst ist, dass ich sehr intuitiv arbeite. Ich zeichne nicht vor, es kommt einfach aus dem Bauch heraus. Meine Malerei und meine Grafik sind ein Produkt von allen Krisen, von meinen Fotoreisen und allen Umwegen, die ich gegangen bin. Wenn ich einen direkten Weg genommen hätte, würde ich ganz anders malen. Durch diese Umwege habe ich meinen Stil gefunden.

Durch durchlebte Lebenskrisen und gegangene Windungen hat sich dein Stil bis zum heutigen entwickelt. Gab es Menschen, die dir dabei Mut gaben?

Vor sieben Jahren kam ich nach Kassel, startete mein Leben neu und konnte meinen bis dahin entwickelten Stil nicht ernst nehmen. Mein ehemaliger Professor sagte zu mir: „Oksana, deine Zeichnungen und Malereien sind genauso genial wie deine Fotos.“ Es kommen Menschen in unser Leben, die mit einem ausgesprochenen Satz Mut machen, Mut dabeizubleiben und weiterzumachen. Seine damaligen Worte waren für mich sehr stärkend, er war ein großes Vorbild. Es kamen schließlich immer mehr Menschen, die meine Kunst lieben. Seit ein paar Jahren bin ich nun fest von dem überzeugt, was ich mache, ich liebe meinen Weg, bin glücklich und dankbar.

Nochmal zu den Emotionen: Sind deine neueren Werke positiver, sozusagen fröhlicher geworden?

Ja, aber ich hatte auch Phasen, in denen es mir richtig schlecht ging. Jeder Künstler hat zu kämpfen, jeder von uns trägt eine Geschichte mit sich. Der Krieg in der Ukraine belastet mich sehr, wir Ukrainer lernen damit zu leben. Meine Familie ist dort und ich denke ständig daran. Ich habe versucht, den Krieg auf meine Art und Weise darzustellen, aber es funktioniert nicht. Ich kann mich nicht verändern. Ich bin eine Künstlerin, die eher positive Botschaften verbreitet.

Jegliche Veränderungen in deiner Kunst, also die Phasen oder Zyklen deines Schaffens kommen also von innen, aus dir selbst.

Ich bin eine Person, die sich nicht anpassen lässt. Wenn mir jemand sagen würde, was ich malen soll, würde es nicht fuktionieren. Ich habe in meiner Vergangenheit einige Male gegen meinen Willen gehandelt und war zutiefst unglücklich. Es ist ein Privileg so zu leben, wie ich lebe. Jedoch hat es lange gedauert, bis ich an diesen Punkt gelangt bin. Ich kann meinen Alltag einteilen, wie ich möchte. Ich arbeite zwar oft mehr als andere, aber ich genieße die Freiheit, das zu tun, was ich möchte. Ich bin glücklich und lebe in meinem Element.

Du bist eine sehr vielschichte Künstlerin. Du malst, du bist Bildhauerin, du fotografierst, du hast ein Buch geschrieben und du singst. Woher nimmst die Inspiration?

Ich habe viele Umwege gemacht. Nach meinem ersten Studium kam ich nach Deutschland, hatte zuerst einfache Jobs. Es ging am Anfang um eine Überlebensstrategie. Ich denke, es ist in jungen Jahren ganz wichtig, viel zu experimentieren – einfach machen. Ich habe während meines zweiten Studiums viel ausprobiert, zum Beispiel Typographie, Illustration und vieles im Bereich Design. Fotografie war das Ergebnis meiner Abschlussarbeit. Ich denke, jeder Mensch trägt eine Art Göttlichkeit in sich. Sobald man diese annimmt und sich öffnet, kommen viele Talente zum Vorschein.

Der Mensch entdeckt seine Leidenschaft.

Genau. Ich wusste nicht, dass ich singen kann, dass ich schreiben kann und dass ich fotografieren kann. Das sind alles Produkte von dem, was ich mir bereits viele Jahre lang angeeignet habe. Schon in meiner Kindheit wollte ich Künstlerin werden. Ich habe Kunstwissenschaft und Gestaltung studiert, das war meine Leidenschaft. Viel sehen, fühlen, probieren und ganz viel Übung – daraus gewinnt man irgendwann Selbstvertrauen. Wenn man in einem bestimmten Bereich gut sein möchte, muss man ein gutes Handwerk beherrschen, um später loslassen und sagen zu können, „jetzt bin ich frei und male auf diese Art“. Aber dahinter steckt auch viel Wissen, viel Experimentieren und eine klassische Vorgehensweise. Besonders meine Fotoreise in die Heimat hat mich verändert. Am Anfang war ich auf mich selbst und meine Biographie fixiert. Je mehr ich losgelassen hatte, desto besser wurde die Intensität, die Menschen rückten in den Vordergrund und ich wurde weniger wichtig. Ich habe mein Ego losgelassen, doch bekam wesentlich mehr dafür zurück. Man muss sich mit allen Sinnen öffnen, dann gewinnt man. Die Reise brachte mich zur Selbsterkenntnis, ich gewann Vertrauen in mich selbst.

Durch deine Reise in die Ukraine ist dein Fotobuch „Kindheit unter Eichen“ entstanden. Wie ist es zu deinem Entschluss gekommen, diesen Weg zu gehen?

Ich wollte wissen, wer ich bin. Es war eine Art Selbstsuche. Ich wollte wissen, wer ich nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland geworden bin. Wie denkst du? Wie tickst du? Wer sind deine Mitmenschen? Man fühlt anders in der Heimat. Dann habe ich diese Reise in die Ukraine gemacht. Ich hatte keine Reiseroute. Ich habe irgendwo an die Tür geklopft, habe mich vorgestellt und habe dort gelebt, gegessen und geschlafen. Ich habe in dieser Gemeinschaft sogar entdeckt, dass ich singen kann. Ich wurde überall mit offenen Armen empfangen. Es war eine höchst rührende Zeit.

Gibt es Zeiten oder Phasen, in denen du dich mehr zu einer Kunstrichtung hingezogen fühlst als zu einer anderen?

Ich würde alles gleichzeitig machen. Ich würde singen, fotografieren oder mit Ton arbeiten. Aber es geht darum, dass man immer Prioritäten setzen muss, egal was man tut, denn sonst lässt die Intensität nach. Man kann sich sehr schnell verzetteln. Kunst ist auch kein Ponyhof. Ich habe nicht unendlich viel Energie in mir und meine Zeit ist begrenzt. Ich würde gerne wieder fotografieren, aber dafür muss ich Zeit einplanen und es kostet viel Energie. Ich würde gerne noch ein Buch schreiben und etwas mehr singen. Aber das kann ich nicht alles gleichzeitig tun. Die Qualität darf nicht leiden. Aber ich bin offen, denn ich weiß nicht, was morgen kommt.

Deine Ausstellung findet man im Kunstinkubator, der dafür eingerichtet wurde. Aber die Pläne gehen noch weiter.

Das Gebäude im Stil der 50er Jahre hat mich sehr angesprochen. Unten sind die Räume sehr repräsentativ und lichtdurchflutet, in dem Wohnraum der oberen Etage kann man auch mit Menschen direkt arbeiten oder sich zurückziehen. Das ist die perfekte Kombination. Ich möchte diese Räume aktivieren – nicht nur für mich, sondern auch für Projekte von anderen Menschen, zum Beispiel für Workshops kleine Konzerte. Es geht um das Miteinander. Wir möchten, dass der Raum eine Plattform bietet.

Die Ausstellung „On my way“ von Oksana Kyzymchuk ist bis zum 28. Mai Donnerstag bis Sonntag von 15.00 Uhr bis (mindestens) 18.00 Uhr in den Räumen des Kunstinkubators, Königstor 2, 34117 Kassel geöffnet.

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